Unbeachtet vom größeren Teil der Gemeinde - vermutlich - pflegen die Andreas Cantores seit 1984 den Gregorianischen Choral: werden die lateinischen Gesänge doch meist in die weniger gut besuchten Messen platziert - etwa die Sonntagsabendmessen. Nur an Christi Himmelfahrt und Allerheiligen wird die Hauptmesse der Gemeinde als Choralamt gefeiert.
Unerwartetes Lob erhielt die Schola dagegen von der lokalen Presse. Über ihre Sangeskunst urteilt ein in Stadtanzeiger und Rundschau am 1. Februar 2000 erschienener Beitrag: "Die mönchische Strenge der Choraele mit ihren schlichten Melodien, die oft nur wenige Töne umfassen, bringen sie mit ergreifender Intensität. Die Sangesdisziplin ist groß, die Dynamik gut verstanden und beherrscht." Auch der Gemeinde, der ja in der Gregorianik beim Wechselgesang des Ordinariums ihre eigene Rolle zukommt, wird bescheinigt: "Ihre Intonationssicherheit lässt auf lange Erfahrung mit der Tradition schließen."
Ich bin dankbar, dass ich diese Tradition in St. Andreas von klein auf kennen lernen konnte; und ich bin froh, dass es gelungen ist, sie über den Reformeifer der 70er Jahre hinüber zu retten. Birgt sie doch, um mit Hans Conrad Zander zu sprechen, "eine ursprüngliche und tiefe, unschätzbar schöne Gotteserfahrung". Dies hat sich auch unserem Kritiker erschlossen, wenn er über diese Gesänge schreibt: "Sie verwandelten das karge Kirchenschiff von St. Andreas in eine Klosterkirche voll Mystik."
Mit kräftigen Seitenhieben auf den katholischen Klerus, der die Gregorianik verächtlich weggeworfen habe, schreibt Zander über seine Erlebnisse mit dieser Musik: "Gregorianischer Choral weckt ein Gefühl, das ich als großen Genuss empfinde. Dieses Gefühl nenne ich Frömmigkeit. Von Alexander Mitscherlich stammt das Wort, das meiste Unglück unserer Zeit komme von der Unfähigkeit zu trauern. Ich würde weitergehen und sagen: Das meiste Unglück kommt von der Unfähigkeit fromm zu sein. Denn was heißt trauern können? Traurigkeit allein ist unerträglich, wenn sie nicht aufgehoben ist in einem Gefühl, das noch elementarer ist, weil sich in ihm Traurigkeit und Freude ursprünglich miteinander verbinden. Das ist Frömmigkeit. Hören Sie hundert gregorianische Melodien. Alle, ohne Ausnahme, sind traurig und fröhlich zugleich. Das ist die ursprüngliche religiöse Empfindung, die ich in der Gregorianik suche, und die ich brauche für mein Lebensglück." (aus: Der Gregorianische Choral zwischen Kirche und Disco. Eine Annäherung von Hans Conrad Zander, Düsseldorf 1995) Besser kann ich nicht formulieren, was mir der Choral bedeutet. Aber ich brauche mich nicht - wie Zander von sich schreibt - abends bei einem Glas Rotwein an meinen Plattenschrank zurückzuziehen, um dieses Gefühl zu empfinden. Bei uns in St. Andreas ist der Choral - zum Glück - lebendige Überlieferung.
Norbert Hölzer, PGR